Jugendzentrum Hagenbach Sven Lang, Dipl.-Päd.

1. Warum Kampfsport als Medium?

Die Besucher des Jugendzentrums Hagenbach setzen sich zum größten Teil aus sozial benachteiligten Jugendlichen zusammen. Ihre Verhaltensweise ist unter anderem durch eine hohe Gewaltbereitschaft geprägt. Aus diesem Grund wird Gewaltprävention betrieben. Dabei stellt sich das Problem, dass die Jugendlichen mit ihren subjektiven Einstellungen pädagogischen Angeboten skeptisch und ablehnend gegenüber stehen. Die Angebote müssen also in verdeckter Form und durch ein Medium vermittelt werden, welches die Jugendlichen anspricht.

Der Kampfsport ist dazu aus folgenden Gründen sehr gut geeignet:

Jugendliche zeigen großes Interesse am Kampfsport. Der Zugang zum Klientel ist somit gesichert. Die Vielseitigkeit des Trainingsaufbaus ermöglicht eine Durchführung über einen langen Zeitraum ohne Motivationsverlust der Teilnehmer:innen. Spezielle Deeskalationsübungen lassen sich in das Trainingsprogramm problemlos einbauen. Das Erleben der Übungen kann direkt reflektiert werden.

Der Einsatz des Mediums Kampfsport in der Gewaltprävention ermöglicht ein bedürfnisorientiertes Arbeiten. Zusätzlich liegt dem Projekt ein erlebnispädagogischer Ansatz zugrunde.

2. Voraussetzungen

Um eine gewaltpräventive Wirkung zu erreichen, werden Voraussetzungen geschaffen, die in einem herkömmlichen Training nicht vorhanden sind:

  • Das Trainingsprogramm wird durch verschiedene Übungen zum Umgang mit Konflikten und Gewalt ergänzt.
  • Die Leitung des Projekts untersteht einer pädagogischen und einer sportlichen Fachkraft. (Im Jugendzentrum Hagenbach vereinigen sich beide Rollen in der Person des Jugendpflegers).
  • Das Trainingsprogramm wird mit anderen Sportarten in Verbindung gebracht. Dies verhindert eine einseitige Fixierung auf den Kampfsport.

3. Die gewaltpräventive Wirkung

Das Training konfrontiert die Teilnehmer:innen mit ihrem (unbewussten) Aggressionspotential, welches unter Anleitung kontrolliert nach außen getragen und kanalisiert wird. Dieser Vorgang ermöglicht langfristig einen kultivierten Umgang mit Aggressionen und lässt einen Ehrenkodex zu (Keine Gewalt gegen Schwächere. Angemessene Reaktionen auf unmittelbar erfahrene Gewalt).

Sie lernen, dass der erwünschte Trainingserfolg nur durch ein hohes Maß an Eigendisziplin, Geduld und Selbstüberwindung zu erreichen ist. Es dauert eine Zeit, bis die Techniken entsprechend eingeübt sind, um wirkungsvoll zu sein. Nach dieser Zeitspanne sind die Jugendlichen in der Regel soweit, mit Konflikten konstruktiver umzugehen. Eine Gefahr des Missbrauchs des Gelernten ist demnach relativ gering.

Ein wichtiger Aspekt des Kampfsports ist die Zusammenarbeit zwischen Körper und Geist. Es werden dabei Übungen durchgeführt, welche zum einen die mentale Leistungsfähigkeit stärken (z.B. Konzentration) und zum anderen die Motorik verfeinern.

Die Jugendlichen lernen, ihre Kraft realistisch einzuschätzen und damit umzugehen. Sie sind dann in der Lage, in Situationen, in denen sie mit Gewalt konfrontiert werden, ihre Fertigkeiten notfalls kontrolliert und angemessen einzusetzen (Verteidigung, Abwehr eines gewalttätigen Angriffs). Es wird verhindert, dass Andere durch blinden Zorn und Verlust der Selbstbeherrschung verletzt werden.

Zur Förderung des sozialen Lernens gestaltet sich der größte Teil der Übungen in Form von Partnerübungen. Dabei bekommen die Jugendlichen ein Gefühl für den Umgang mit Anderen. Weiterhin baut sich gegenseitiges Vertrauen auf, da gerade im Kampfsport die Einstimmung auf den Trainingspartner sehr wichtig ist.

Die Teilnehmer:innen lernen zudem, Verantwortung für Andere zu übernehmen, da ein eventueller Missbrauch des Gelernten durch einen Einzelnen die Einstellung des gesamten Projekts zur Folge hat. Jede:r ist also für den Fortbestand der ganzen Gruppe verantwortlich. Dadurch wird zusätzlich eine gruppeninterne Selbstregulation erreicht.

Der Kampfsport vermittelt den Teilnehmer:innen des Projekts eine neue Einstellung zum Einsatz von körperlicher Gewalt. Sie werden durch ihre Fähigkeiten in eine stärkere Position versetzt, wobei sie gleichzeitig lernen, dass diese Stärke Sicherheit vermittelt und sie es nicht nötig haben, sich ständig (z.B. durch Schlägereien) beweisen zu müssen.

Neben der körperlichen Gewalt erfahren Jugendliche oft in nicht zu unterschätzendem Maße psychische Gewalt (Erpressung, Mobbing, Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen, z.B. Familie, Schule, Betrieb). Durch die Vermittlung eines positiven Selbstbildes mit den Inhalten Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und Akzeptanz der eigenen Schwachstellen, entwickelt sich eine modifizierte Moral und Lebenseinstellung. Begriffe wie Ehre und Anstand bekommen eine größere Bedeutung und werden in der Lebenswelt der Jugendlichen wieder aktualisiert.

Zusammenfassung

Die Vermittlung von Disziplin, Selbstbewusstsein und Selbstbeherrschung bewirkt eine Einstellungsänderung zur Gewalt. Vorhandene Aggressionen können kontrolliert ausgelebt werden.

Durch den Frustabbau und Erhöhung der körperlichen Fitness stellt sich bei den Jugendlichen ein allgemeines Wohlbefinden ein, welches langfristig Auswirkungen auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung hat. Die im Training eingebundenen Deeskalationsübungen und die Vermittlung von Konfliktlösestrategien katalysieren die Effekte des Kampfsports.

Das körperliche Training ist in Verbindung mit pädagogischen Übungen eine aussichtsreiche Möglichkeit der Gewaltprävention. Die Entwicklungen der Gruppe werden mit Hilfe eines Beobachtungsbogens verfolgt. Diese Beobachtungen ermöglichen ein Erkennen von Tendenzen in der Verhaltensänderung und begünstigen die Anpassung des Trainingsprofils an die aktuelle Situation. Die Beobachtung verfolgt neben individuellen Entwicklungen auch gruppendynamische Aspekte.