Fallbeispiele von Martina Luig, ehemalige Landesjugendpflegerin Rheinland-Pfalz

Fallbeispiel 1:
Der Jugendtreff als Einrichtung der Verbandsgemeinde mit einem hauptamtlichen Mitarbeiter der Verbandesgemeindeverwaltung

  • Grundsätzlich obliegt die Aufsichtspflicht für die Minderjährigen, welche sich in dem offenen Jugendtreff aufhalten, dem Träger der Einrichtung. Ihre Verwaltung delegiert hier die Aufsichtspflicht an ihren hauptamtlichen Mitarbeiter in der Einrichtung.

  • Der Jugendtreffleiter kann grundsätzlich die Aufsichtspflicht temporär an andere (volljährige) Personen übertragen. Diese Person muß dafür geeignet sein, diese Tätigkeit auch auszuüben. Der ihr übertragene Verantwortungsbereich, wie z.B. die Anzahl der zu beaufsichtigenden Kinder und Jugendlichen, muss der Betreuungsperson zumutbar, und die ihr übertragenen Aufgaben müssen für diese leistbar sein.

  • Die Entscheidung über die persönliche Eignung des Jugendlichen/ jungen Erwachsenen und den Umfang der ihm übertragenden Aufgaben obliegt Ihrer Fachkraft in der Einrichtung, wobei wir eine vorherige Absprache mit der Verwaltung und die Aufnahme der Personendaten empfehlen. Erfolgt eine Honorarzahlung empfiehlt sich der Abschluss eines entsprechenden Honorarvertrages.

  • Es ist unseres Erachtens Aufgabe der pädagogischen Fachkraft im Jugendtreff, die ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf Ihre Betreuungstätigkeit vorzubereiten, sie zu schulen und diese kontinuierlich in ihrer Tätigkeit zu begleiten.

  • Die formale Einwilligungserklärung der Eltern für die zeitweise Übertragung der Aufsichtsführung im Jugendtreff ist nicht erforderlich, wenn es sich um volljährige Betreuer/ Gruppenleiter handelt. Minderjährigen selbst, in der Regel ab dem 16. Lebensjahr, darf mit vorheriger Einwilligung der Eltern ebenfalls, in vertretbarem Maße, Aufsichtspflicht übertragen werden („Aufsichtspflicht“, Stefan Obermeier, Seminarskript 1999).

Fallbeispiel 2 :
Der Jugendtreff befindet sich in der Trägerschaft eines Vereins, der Räumlichkeiten der Ortsgemeinde nutzt

  • Grundsätzlich sollte die Trägerschaft des Jugendtreffs mit dessen Gründung festgelegt werden. Der Träger hat vor allem für den ordnungsgemäßen Zustand der Räume und für einen im Sinne des Jugendschutzgesetzes (Öffnungszeiten, Abgabe alkoholischer Getränke, Rauchen etc.) unbedenklichen Betrieb des Jugendtreffs Sorge zu tragen. In der Regel übernimmt der Träger auch die laufenden Betriebskosten der Einrichtung. Übernimmt die Gemeinde die Trägerschaft, was überwiegend der Fall ist, sind die Räume des Jugendtreffs, dessen Betreuer und Besucher über die Gemeinde mit versichert; es gelten die allgemeinen Haftungsregeln und Verkehrssicherungspflichten bei öffentlichen Räumen (Notausgang, Brandschutz etc.).

  • Die inhaltliche Ausgestaltung, Organisation und Betreuung der Einrichtung obliegt der Verantwortung des Trägers. Tritt die Gemeinde selbst als Träger auf, kann sie diese Aufgaben beispielsweise einem sog. Elternbeirat oder Träger-Verein übertragen. Die pädagogische Konzeption der Einrichtung sollte möglichst unter Beteiligung einer Fachkraft für Jugendarbeit erfolgen.

  • Stellt die Gemeinde (nur) die Räume einem anderen Träger, wie z.B. einem örtlichen Verein, für die Jugendarbeit zur Verfügung, ist zu empfehlen, einen entsprechenden Nutzungsvertrag abzuschließen. Übernimmt der Verein die Trägerschaft, muss dieser seine Aktivitäten (Räume, Betreuer, Besucher) selbst versichern, und auch die Organisation und Betreuung der Einrichtung ordnungsgemäß sicherstellen.

  • Die gesetzliche und vertragliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Ausübung der Aufsichtspflicht über die minderjährigen Besucher der Einrichtung obliegt damit dem Verein als Träger. Die praktische Ausgestaltung der Betreuung/ Begleitung eines, von Jugendlichen überwiegend selbst verwalteten Jugendtreffs, ist demnach vom Verein zu regeln.

  • Dabei ist zu bedenken, daß aus pädagogischer Sicht in einem offenen Jugendtreff gerade das Einüben von Gruppenregeln und demokratischem Verhalten unter Gleichaltrigen, ohne die ständige Einwirkung von Erwachsenen, durchaus sinnvoll ist bzw. sein kann. Die Jugendlichen suchen ja gerade den "freien" Treff auf, um dort nicht von Eltern oder anderen Erwachsenen beaufsichtigt zu werden, oder einer bestimmten (Vereins-) Tätigkeit nachgehen zu müssen. In den meisten Jugendtreffs wird daher auch keine Aufsichtspflicht im üblichen Sinne, wie z.B. in der Gruppenstunde, ausgeübt.

  • Es ist daher empfehlenswert bereits bei der Entscheidung über das zulässige Mindestalter der Jugendtreffbesucher, die Anforderungen an die Ausübung der Aufsichtspflicht zu berücksichtigen. Wie im ersten Teil der Stellungnahme ausgeführt, gilt grundsätzlich: je jünger die Besucher, desto höher die Anforderung an die Beaufsichtigung/ Betreuung der Einrichtung. In Anlehnung an § 7 (1),Nr. 2 SGB VIII, ist Jugendlicher, wer „14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.“, dient das Lebensalter als Orientierung für die Zuordnung „Kind“ oder „Jugendlicher“, und gibt damit im allgemeinen auch Hinweise auf die psychische und soziale Eigenständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der jungen Menschen. Hier kann es in Einzelfällen natürlich zu (großen) Abweichungen im Entwicklungsstand kommen.

  • Besondere strukturelle Problemlagen in der Gemeinde, wie z.B. Besucher aus sozial benachteiligten Wohnlagen oder die Existenz konkurrierender Jugendgruppen, sind ebenso bei der Frage der Aufsichtspflicht in einer Jugendeinrichtung zu berücksichtigen.

  • Damit ein selbst verwalteter Jugendraum funktionieren kann, muss vor allem der organisatorische Rahmen wie z.B. Treffleitung und Hausordnung von Anfang an geklärt sein. Im Sinne der angestrebten, eigenständigen Leitung eines Jugendtreffs durch die jungen Leute selbst, können organisatorische Aufgaben für dessen Betrieb (z.B. Putz- und Thekendienste) ohne weiteres auf diese übertragen werden. Ich gebe aber auch zu bedenken, daß die Übertragung regulierender und/oder sanktionierender Funktionen auf junge Menschen in ihrer Gleichaltrigengruppe zu Problemen führen kann; für den Jugendlichen selbst und für die Gruppe an sich (Kontrolle und Akzeptanz unter Freunden).

  • Für die Leitung des Treffs und die Beaufsichtigung/Kontrolle der Besucher im Sinne der Hausordnung empfehlen wir daher, aus dem Kreise der regelmäßigen Besucher einen sog. Vorstand wählen zu lassen. Dieser sollte aus einer ungeraden Zahl von Jugendlichen beiderlei Geschlechts bestehen, welche auch die verschiedenen, im Jugendtreff vorhandenen Altersgruppen repräsentieren. Dieser Vorstand kann für den Träger der Einrichtung Hausrecht ausüben und bildet das Sprachorgan und das Bindeglied des Jugendtreffs in der Gemeinde. In einem gewissen Maße können so die Mitglieder des Vorstandes gemeinschaftlich auch regulierende und sanktionierende Funktionen übernehmen.

  • Dem Vorstand sollte mindestens ein Ansprechpartner der Gemeinde/ des Trägers für alle Angelegenheiten des Jugendtreffs (Vollzug der Hausordnung, Finanzen etc.) zur Verfügung stehen.

  • Wir empfehlen weiterhin auch hier, die Eltern im Einzugsbereiches des Jugendtreffs ausdrücklich darüber zu informieren, in welcher Art und Weise der Betrieb der offenen Einrichtung (Altersgrenze, Hausordnung, Öffnungszeiten, etc.) geregelt ist.

  • Der Träger der Einrichtung hat, unabhängig von der Betreuungsregelung, in jedem Fall alles dafür zu tun, damit von der Art, Beschaffenheit und Ausstattung der Räumlichkeiten und der Form der Organisation/ Betreuung/ Begleitung keine Gefahren für das körperliche und psychische Wohl der Besucher ausgehen.

Fallbeispiel 3:
Ein loser Zusammenschluss von Jugendlichen möchte Räume der Ortsgemeinde ohne Vertrag und kostenlos nutzen

  • Von der Nutzung öffentlicher Räume durch Jugendliche ohne die Klärung der Trägerschaft der Einrichtung ist vor allem aus haftungs- und versicherungsrechtlichen Gründen unbedingt abzuraten. Die Gemeinde kann sich meines Erachtens ohnehin nicht aus Ihrer Verantwortung für die öffentlichen Räume entziehen, ohne die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten (Verkehrssicherungspflichten etc.) an einen anderen Träger abzugeben.

  • In Wiederholung meiner oben gemachten Ausführungen, möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass es sich auch aus pädagogischen Gründen unbedingt empfiehlt, gerade bei selbst verwalteten Jugendtreffs, mindestens eine erwachsene Person aus der Gemeinde als Ansprechpartner/in den Jugendlichen zur Verfügung zu stellen. Diese Person sollte geeignet sein und Freude daran haben, die jungen Leute in ihrer Einrichtung zu beraten und zu begleiten.